Der TV-Sender „The Biography Channel“ hat anlässlich des 40. Jahrestags der Anschläge auf die israelische Olympiamannschaft in München 1972 eine Dokumentation mit dem Titel „Der elfte Tag – die Überlebenden von München 1972“ produziert. Zu diesem Zweck holte der Fernsehsender sieben der insgesamt zehn Überlebenden für Dreharbeiten nach München. Sendetermin ist der 7. Juli 2012.
Am 22. April 2012 berichtete „Bild am Sonntag“ über die Dokumentation und stellte sechs der überlebenden Sportler vor. Hier der Bericht über Zelig Shtorch:
„ZELIG S, 71, Sportschütze. Seine Familie väterlicherseits wurde während des Holocaust ermordet. Er nahm auch nach München an Wettkämpfen teil, wurde 1978 bei den Olympischen Spielen in Seoul mit seiner Mannschaft Achter.“
S. erzählt: „Ich hatte meine Kleinkaliberwaffe mit in die Mannschaftsunterkunft genommen, um sie zu reinigen. Mit dieser Waffe stand ich hinter einem Vorhang und beobachtete einen der Terroristen. Ich überlegte, ihn anzugreifen. Aber ich wusste nicht, wie viele Terroristen es sind und was sie vorhaben. Ich hatte Angst, dass die Situation eskaliert, wenn ich schieße. Seit 40 Jahren lebe ich mit dem Schuldgefühl, mich möglicherweise falsch entschieden zu haben. Vielleicht hätten mehr überlebt, wenn ich den Terroristen angegriffen hätte.“
Schuldgefühle entstehen, wenn wir Angst haben, etwas falsch gemacht zu haben. Hat Zelig S. im Jahre 1972 also einen Fehler gemacht? Um diese Frage zumindest theoretisch zu erörtern, müsste man sich überlegen, was denn geschehen wäre, wenn er den Terroristen angegriffen hätte? Wenn man alle Möglichkeiten in Betracht zieht, kommt man immer wieder zum Ergebnis, dass sich ein Massaker wahrscheinlich nicht hätte vermeiden lassen. Dann hätte S. mit dem Schuldgefühl leben müssen, voreilig gehandelt zu haben.
Die kognitive Verhaltenstherapie würde das Problem folgendermaßen beurteilen: Der Sportler hat Schuldgefühle, weil er sein Verhalten falsch bewertet. Um sein Schuldgefühl aufzulösen, muss er seine Schlussfolgerung ändern, indem er sie gegen eine neue Beurteilung ersetzt. Anschließend muss er die neue Bewertung so lange einüben, bis sie anstelle des alten Denkmusters getreten ist.
Was in der Theorie so logisch klingt, hat in der Praxis wenig Erfolg. Denkmuster lassen sich nicht so ohne Weiteres austauschen. Sie wurzeln in unserer Erziehung, wo wir bereits gelernt haben, was wir für richtig und falsch halten. Diese Überzeugungen haben im Laufe der Jahre feste Nervenbahnen in unserem Gehirn erschaffen.
Es gibt eine intelligente Möglichkeit, das Problem zu meistern. Ich würde Betroffenen, wie Herrn Zelig S. raten, ihren Fokus auf ihre Schuldgefühle zu richten. Sie müssen sich ihnen zuwenden, als würden sie klassischer Musik lauschen. Das bedeutet, dass sie ihre Schuldgefühle fühlen müssen. Und zwar so lange, bis sie mit ihnen verschmelzen. Das ist reine Alchemie!
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