Mittwoch, 25. Januar 2012

Trauer

Am letzten Wochenende hat sich völlig unerwartet ein Freund umgebracht. Ich kannte ihn gar nicht persönlich, unser Kontakt bestand nur aus einigen E-Mails. Seine erste E-Mail erhielt ich am 3.12.11, wo er mich um Hilfe bei seinen Problemen bat. Von unserem kleinen Briefwechsel veröffentliche ich nur meine Antworten. Aus ihnen kann man seine Fragen erahnen:


Meine erste Antwort am 4.12.2011:

auch ich hatte einst das Gefühl, beruflich in einer Sackgasse gelandet zu sein. Ich habe dagegen angekämpft, mich selbst der Unfähigkeit beschuldigt und doch konnte ich mich nicht entscheiden, etwas anderes zu tun. Was hätte ich auch tun können? In meinen ursprünglich erlernten Beruf wollte ich nicht zurück, eine andere Qualifikation hatte ich nicht und so habe ich mit meiner Arbeit einfach weiter gemacht. Eines Tages brachte mir das Schicksal einen neuen Weg.

Wir fliegen zum Mond, dringen in die Tiefen der Meere ein, doch was unsere innere Psychologie betrifft, da kennen wir uns nicht aus. Unsere Probleme mögen unterschiedlich sein, doch empfinden wir dieselben Ängste, Widerstände und Depressionen. Wie sollen wir mit diesen Emotionen umgehen?

Die Psychotherapeuten haben erkannt, dass unsere Gedanken unsere Emotionen hervorrufen. Daraus schließen sie, dass wir unsere Gedanken ändern müssen, um bessere, positive Gefühle zu haben. Ist das möglich? Kannst Du Deine Gedanken ändern, die Dich in die Depression treiben? Probiere es aus, die niedrige Erfolgsquote zeigt, dass das nicht funktioniert.

Die grundsätzliche Problematik im Leben der Menschen besteht darin, dass sie das, was ist, nicht annehmen wollen. Und dieser Widerstand erzeugt negative Emotionen. Daher muss die Frage beantwortet werden, wie wir mit diesen Emotionen umgehen sollen.

Alle erwachten Meister sagen, dass wir unser Leben, so wie es ist, annehmen sollen. Allerdings sind sie in einem Punkt ungenau: Sie sagen nie, wie dieses „Annehmen“ genau funktioniert. Hier also mein Rat: wenn Du etwas annehmen, also mit Dir selbst in Frieden kommen willst, dann kommst du um das Fühlen nicht herum. Mit anderen Worten musst Du lernen, Deine auftretenden Emotionen zu fühlen … und nicht einfach nur wahrnehmen. Alle negativen Emotionen, wie z.B. Angst lösen sich auf, wenn Du Deine volle Aufmerksamkeit auf sie richtest und fühlst. Denn dann kannst du darüber nicht nachdenken. Wenn Du es richtig machst, dann wirst Du plötzlich erleben, dass Du mit der Angst verschmilzt. Ebenso verfahre mit Depressionen, Ärger, Wut usw.

Osho hat diese Technik im Vigyana Bhairava Tantra beschrieben. Sie ist die einzige Hilfe, die ich Dir anbieten kann. Was Deinen Job betrifft, so weiß ich nicht, ob Du weitermachen oder etwas Neues wagen sollst. Nichtsdestotrotz hoffe ich, dass ich Dir behilflich sein konnte.

LoL
Monas



Meine zweite Antwort am 5.12.2011:

wenn das Haus brennt, fragst Du dann, warum es brennt? Wenn Du Depressionen hast, spielt es dann eine Rolle, warum Du sie hast? Ich war fast mein ganzes Leben lang traurig. Obwohl ich die Ursachen kannte, konnte das meine Traurigkeit nicht auflösen.

Stimmungsschwankungen sind typische Merkmale der Depression. Warum entscheiden wir uns immer für das Obenauf und lehnen das Unten ab? Lade Deine Depression in aller Freundlichkeit ein, umsorge sie wie einen lieben Gast. Widme Dich ihr, wie ein Sammler seinen Briefmarken …fühle sie, wie ein Geiger seine Musik. Sie ist nichts Schlimmes, sie will Dir nichts Böses. Sie erinnert Dich nur daran, heil und ganz werden zu wollen.

Als ich 1979 nach Pune fuhr, hatte ich vier Lebensthemen, die ich unbedingt lösen wollte. Eines davon war das Thema „Berufsfindung“. Wieviel Kopfarbeit ich darin investiert habe, wie viele schlechte Stimmungen aus diesen Gedanken heraus entstanden sind! Ich weiß auch heute noch immer nicht, was ich werden will. Inzwischen belustigt mich das Thema.

Mache das Fühlen zu Deiner täglichen Meditationspraxis. Wann immer ein negatives Gefühl auftaucht, mache es wie ein Erwachter: nimm es an, fühle es und verschmilz mit ihm. Reagiere nicht in gewohnter Weise und analysiere nicht, das füttert nur Dein Leiden. Nach und nach wirst Du sehen, dass diese Technik funktioniert.

LoL
Monas


Meine dritte Antwort am 17.12.2011:

natürlich leben wir in verschiedenen Bereichen. Du magst verschiedene Facetten haben, doch dahinter bist Du immer das Eine, das Sein Licht verbreitet. Und natürlich musst Du Deinen Job gut machen, denn das schuldest Du Deinem Arbeitgeber. Wusstest Du, dass Depressionen in der BRD die Hauptursache für Arbeitsunfähigkeit und Frühverrentung sind?

Die Kunst des Lebens besteht darin, die Dinge so anzunehmen, wie sie sind. Warum ist das so schwierig? Weil wir nicht akzeptieren wollen? Ist das Leben denn ein Wunschkonzert? Sind es nicht unsere Wünsche, die aus unserem Leben eine Hölle machen? Wenn Du also gekündigt wirst, dann wirst Du gekündigt. Denkst Du, dass das Leben dann nicht weitergeht?

Über Deine Beziehung vermag ich nichts zu sagen. Da müsste Dein/e Partner/in schon selber Stellung nehmen. Aber warum suchst Du nach einem Halt? Denkst Du dass es Sicherheit gibt? Dieses Sicherheitsbedürfnis ist die oberste Maxime des Denkens. Und so lange Du mit Deinem Denken identifiziert bist, bleibst Du in Deiner unaufhörlicher Furcht eingeschlossen.

Habe ich je Medikamente genommen gegen meine Traurigkeit? Nein, meine Depressionen hatte ich vor allem in meiner Kindheit und dann noch einmal ziemlich stark in den Jahren 1975 bis 1979. Und da hat mir nichts und niemand geholfen. Ich hab mich total einsam gefühlt. Irgend jemand hat mal gesagt, dass das Alleinsein beginnt, wenn die Einsamkeit aufgehört hat. Das kann ich voll unterstreichen. Ich habe seit einigen Jahren mein Interesse an meinen alten Freunden verloren. Ich lebe in einer Beziehung, aber eigentlich für mich alleine und es geht mir gut dabei.

LoL
Monas



Meine vierte Antwort am 18.12.2011:

Weisheit ist in jedem Menschen vorhanden. Sie findet ihren Ausdruck stets dann, wenn der Mind sein eigenes Zentrum erkannt hat ... Wenn Du glaubst, dass Dir meine Worte Kraft geben, dann hole Dir die Kraft so oft und so viel, wie Du willst ... Spielt es denn eine Rolle, ob Deine Depression das Problem ist oder ob da etwas Anderes dahinter steckt? Zunächst einmal ist Deine Depression vorhanden und will angenommen werden. Dann kannst Du schauen, ob etwas dahinter steckt.

Kampf setzt voraus, dass man gegen etwas ist. Nehmen wir Deine Depression. Das Beenden Deiner Depression fängt genau an dem Punkt an, wo Du aufhörst, sie zu bekämpfen. Deine Depression ist im Grunde deswegen da, weil sie angenommen werden will. Versuche daher nicht, ihr aus dem Weg zu gehen. Sei es, indem Du Verantwortung ablehnst, den Alltag zu meistern ... körperliche Anstrengung meidest oder einfach ins Bett flüchtest. All das wird Dir nicht helfen ... Das Leben ist kein Wunschkonzert. Und es ist schön so, wie es ist. Aber das musst Du selbst herausfinden. Wenn Du es nur glaubst, weil ich es sage, wird es nicht Deine Wahrheit sein.

Bist Du fähig, Deine gesamte Aufmerksamkeit auf Deine Depression zu richten? Wenn Du das tust, dann handelst Du im Hier und Jetzt. Solange Du Dich gegen Deine Depression wehrst, bist Du in der Zeit. Verstehst Du das? Mind will analysieren, beurteilen und verändern. Das bringt die Zeit ins Spiel. Ganz nach dem Motto: "Mein Leben fühlt sich mies an, aber wenn ich es schaffe, es irgendwie zu verändern, wird es mir bald besser gehen." Ist das wirklich wahr, kann der Verstand wirklich das Leben verändern? Osho beschrieb die Kunst des Beobachtens einmal so: sie ist ein vertikaler Prozess, der von einem A zu einem tieferen A und von dem tieferen A zu einem noch tieferen A geht. Zeit dagegen schreitet auf der horizontalen Ebene von A nach B nach C usw. voran.

Worauf bezieht sich Dein Wissen, dass es keinen Halt gibt? Hast Du es von Osho gehört oder von Anderen oder in Büchern gelesen? Falls ja, ist es nicht Dein eigenes Wissen und nicht Deine eigene Erkenntnis. Um die Frage für Dich zu klären, kannst Du nur eines tun: Du musst dieses Sicherheitsbedürfnis gründlich untersuchen. Wo genau befindet es sich? Wie fühlt es sich an? Beobachte es und Du wirst die Antwort finden ... Kann man Sicherheit einfach so loslassen? Was hält einen ab, das loszulassen, was nicht existiert? Ist es Angst? Angst vor dem, was passieren könnte? Was ist Angst? Bist Du bereit Dich Deiner Angst zu stellen und mit ihr zu verschmelzen? Wenn ja, dann erkennst Du, ob Sicherheit etwas Natürliches oder eine Illusion ist.

LoL
Monas


Nach meiner letzten Antwort hat er mir nicht mehr geschrieben. Am 23.01.2012 hörte ich, dass er seinem Leben ein Ende gesetzt hat. Ich zog mich zurück, um mich der Trauer zu widmen, die sich in mir ausbreitete. An diesem Tag kreisten meine Gedanken immer wieder um den Selbstmord und lösten immer wieder Gefühle von Trauer aus. Ich blieb still bei dieser Trauer und verschmolz mit ihr. In der folgenden Nacht schlief ich unruhig … wachte mehrmals auf, weil meine Gedanken arbeiteten und immer wieder für neue Trauer sorgten. Und wieder und wieder verschmolz ich mit diesen Gefühlen. Irgendwann wurde ich mir plötzlich einer tiefen Scham bewusst, die sich hinter meiner Trauer verbarg. Als ich sie annahm und mit ihr verschmolz, war die emotionale Belastung, die mir dieser Selbstmord bereitet hatte, endgültig verschwunden.

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